Der Planet als Backofen
Das Jahr 2020 beginnt mit einer bedrohlichen Vorhersage: Die Erde wird sich noch weiter aufheizen.
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Das Jahr ist weniger als vier Wochen alt, doch die
Wissenschaftler wissen bereits, dass die Kohlendio-
xidemissionen weiter steigen werden — wie jedes Jahr
seit Beginn der Messungen — und dass sich die Erwär-
mung der Erde fortsetzen wird. Die Emissionen werden
weiter steigen. Jedes Jahrzehnt ist wärmer als das ver-
gangene. Die Ozeane heizen sich auf. Die Wirtschaft ist
bedroht — und es ist erst Januar.
von Tim Radford
Außerdem wird der Anstieg steiler als üblich verlaufen, zum Teil wegen der
verheerenden Buschfeuer in Australien, warnen die Wissenschaftler.
Ihre Warnung erinnert daran, dass die globale Erwärmung und der Klima-
wandel ihre eigenen positiven Rückkopplungen erzeugen: Immer zahlreichere
und katastrophalere Waldbrände geben mehr Kohlendioxid an die Atmosphäre
ab, was dazu beiträgt, die Temperaturen zu erhöhen, Dürren und Hitzeextreme
zu verstärken und die Bedingungen für noch katastrophalere Waldbrände zu
schaffen.
Die Nachricht ist: Der Anteil des Treibhausgases in der Atmosphäre wird in den
kommenden 11 Monaten mit 417 ppm, parts per million, seinen Höhepunkt
erreichen, sich aber im Durchschnitt auf knapp über 414 ppm einpendeln. Dies
entspricht einem prognostizierten Anstieg von 10 Prozent gegenüber dem
Vorjahr, ein Fünftel davon lässt sich auf brennende Eukalyptusbäume in New
South Wales zurückführen.
Wissenschaftler, die sich mit der Erdatmosphäre beschäftigen, begannen 1958
damit, die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre genauestens zu erfassen.
Während des größten Teils der Menschheitsgeschichte — bis zur industriellen
Revolution und der massenhaften Ausbeutung von Kohle, Öl und Gas — lag der
Durchschnitt bei maximal 285 ppm.
Diese Warnung erfolgte unmittelbar nach einer Ansprache des US-amerika-
nischen Präsidenten Trump, der zuvor im schweizerischen Davos behauptet
hatte, der Klimawandel sei ein Schwindel. Er forderte das Weltwirtschaftsforum,
WEF, auf, diejenigen zu ignorieren, die er als „Untergangspropheten“ abtat.
Trump wandte sich damit an eine Organisation, die erst vor kurzem ihre eigene
Warnung herausgegeben hatte, wonach die „ernsthaften Bedrohungen unse-
res Klimas“ alle identifizierten Langzeitrisiken der modernen Welt umfassen.
Der Global Risks Report des WEF warnte vor extremen
Wetterereignissen mit großen Schäden an Immobilien
und Infrastruktur sowie dem Verlust von
Menschenleben.
Er wies auch auf andere Gefahren hin, unter anderem auf das Versagen der
Regierungen und der Industrie, den Klimawandel abzuschwächen oder sich ihm
anzupassen, auf vom Menschen verursachte Umweltschäden und auf den
Verlust der biologischen Vielfalt sowie den Kollaps von Ökosystemen, die alle
untrennbar mit der Klimakrise verbunden sind
(1)
.
Selbst die fünfte Gruppe der genannten globalen Risiken wäre umweltbedingt:
Dazu gehören Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche und geomagnetische
Stürme.
Und, so das WEF, die Zeit, sich mit diesen Bedrohungen auseinanderzusetzen,
werde immer knapper. „Die politische Landschaft ist polarisiert, der Meeres-
spiegel steigt und die Klimafeuer brennen. Dies ist das Jahr, in dem die führen-
den Politiker der Welt mit allen Bereichen der Gesellschaft zusammenarbeiten
müssen, um unsere Systeme der Kooperation zu reparieren und zu stärken,
nicht nur zum kurzfristigen Nutzen, sondern um unsere tief verwurzelten
Risiken zu bekämpfen“, sagte Borge Brende, Präsident des WEF.
Und als das WEF seine eigenen, mit Untergangssignalen beladenen Warnungen
herausgab, bestätigten Wissenschaftler zweier großer US-Forschungsagen-
turen diese Befürchtungen. Die Raumfahrtbehörde NASA und die US National
Oceanic and Atmospheric Administration untersuchten ihre eigenen Daten-
sätze. Danach erklärten sie 2019 zum zweitwärmsten Jahr seit Beginn der glo-
balen Aufzeichnungen und bestätigten, dass das gerade zu Ende gegangene
Jahrzehnt auch das wärmste seit Beginn der Aufzeichnungen war.
Unaufhörlicher Anstieg
„Jedes Jahrzehnt seit den 1960er Jahren war wärmer als das davor“, sagte
Gavin Schmidt vom Goddard-Institut für Weltraumstudien
(2)
.
Das britische Amt für Weltraumforschung stimmte auf der Grundlage eines
weiteren Datensatzes zu, dass 2019 1,05 °C über dem Durchschnitt des größten
Teils der Menschheitsgeschichte lag und dass die letzten fünf Jahre die
wärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1850 waren.
Und nur wenige Tage zuvor hatten chinesische Wissenschaftler die Temperatur
der Weltmeere gemessen und festgestellt, dass sie so warm waren wie zu
keinem Zeitpunkt in der Geschichte der Menschheit. Die letzten 10 Jahre waren
das wärmste Jahrzehnt der weltweiten Ozeantemperaturen überhaupt.
Im Jahr 2019, so schreiben sie in der Zeitschrift Advances in Atmospheric
Sciences, hatte eine Partnerschaft von 14 Forschern aus weltweit 11 Instituten
die Temperatur von der Oberfläche bis in eine Tiefe von 2000 Metern gemessen
und festgestellt, dass der globale Ozean — 70 Prozent des Planeten sind mit
blauem Wasser bedeckt — nun im Durchschnitt 0,075 °C wärmer ist als
zwischen 1981 und 2010. Gemessen in den Grundeinheiten der Wärmeenergie
bedeutet dies, dass die Meere 228.000.000.000.000.000.000.000.000 Joule
Wärme aufgenommen haben.
100 Sekunden bis Mitternacht
„Das sind in der Tat eine Menge Nullen. Um es leichter verständlich zu machen,
habe ich eine Berechnung durchgeführt“, sagte Lijing Cheng
(3)
von der
Chinesischen Akademie der Wissenschaften, der die Studie leitete.
„Die Wärmemenge, die wir in den letzten 25 Jahren in die Weltmeere
eingebracht haben, entspricht 3,6 Milliarden Atombombenexplosionen von
Hiroshima. Die gemessene Erwärmung der Ozeane ist unwiderlegbar und ein
weiterer Beweis für die globale Erwärmung. Es gibt keine plausiblen
Erklärungen außer anthropogen bedingter Emissionen wärmespeichernder
Gase, um diese Erwärmung zu erklären.“
Am 23. Januar gab das Bulletin of the Atomic Scientists bekannt, dass es zur
Veranschaulichung der Apokalypse die Zeiger seiner symbolischen Weltunter-
gangsuhr auf 100 Sekunden vor Mitternacht gestellt hat — so nah standen sie
noch nie.
Der Grund dafür? „Die Menschheit sieht sich weiterhin zwei gleichzeitigen
existenziellen Gefahren ausgesetzt — dem Atomkrieg und dem Klimawandel,
die durch einen Bedrohungsmultiplikator, einen cybergestützten Informations-
krieg, der die Reaktionsfähigkeit der Gesellschaft untergräbt, noch verstärkt
werden“, sagen die Wissenschaftler.
Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel "2020
starts with the plain prospect of rising heat.“. Er wurde von Ullrich Mies
übersetzt und vom ehrenamtlichen Rubikon-Korrektoratsteam lektoriert.
Silhouette von Bäumen und Sonne
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Klimaprognosen für Berlin-Brandenburg
Am Beispiel Berlin-Brandenburg werden die bevorstehenden
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Die Erdgasförderung setzt große Mengen an Methan frei und
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Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“. Da
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