Die Krise hinter der Krise

Unser Umgang mit Tieren hat entscheidenden Anteil an der Entstehung neuer, gefährlicher Virenstämme.

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Schlägt die Natur mit Viren gegen den Menschen zurück? Virenexpertinnen und Evolutionsbiologinnen und -ökologinnen wie Isabella Eckerle, Universität Genf, sowie Simone Sommer, Universität Ulm, arbeiten schon länger in bestimmten Regionen der Erde an der Zoonosen-Thematik. Etwa in den tropischen Regen- wäldern Panamas oder den tierreichen Zonen Afrikas. Mit „Zoonose“ wird der Vorgang der Übertragung von Infektionskrankheiten von Tier auf Mensch oder von Mensch auf Tier bezeichnet. Der Aspekt ist entscheidend für das Verständ- nis davon, wie es zur Entstehung neuer und veränderter Virenarten kommen kann. Etwa des neuartigen Sars-CoV-2 aus dem Stamm der Coronaviren. Das Schwinden von Biodiversität und die Einengung des Lebensraums für viele Tierarten sowie der Fleischkonsum können die Entstehung und Verbreitung mutierter Erreger begünstigen. Bisher kursiert die Annahme, dass das Virus erstmals auf einem Wildtiermarkt in der 11-Millionen-Metropole Wuhan, Zentralchina, vom Tier auf den Menschen übergesprungen sein könnte. Wuhan gilt als das Zentrum, von dem aus die jetzt zur Pandemie gewordene Infektion vermutlich im Dezember 2019 ihren Ausgang genommen und sich weltweit rasant ausgebreitet hat. Über die genaue Herkunft und ob es dabei Zwischenwirte gab, existieren bisher noch keine verlässlichen Daten. Im Verdacht steht allerdings eine bestimmte Fledermausart, mit der in Wuhan gehandelt und die dort auch bevorzugt von Menschen verspeist wird. Norma- lerweise ist der Mensch in der Lage, mit Mikroben, Bakterien und Viren zu leben, er bildet durch infektiöse Erkrankung Resistenzen und Immunitäten dagegen aus. Fledermäuse gelten als Träger ersten Ranges von Coronaviren, die kein Novum sind. Man kennt sieben Coronaviren-Arten, davon sind vier die bekannten Erreger von Influenza-Erkrankungen, zwei lösen die spezielle Sars CoV-1- und MERS- Erkrankung aus und die neue siebte, das Sars-CoV-2-Virus, mit dem es die Welt gegenwärtig zu tun hat, die Atemwegserkrankung Covid-19 mit teils schweren Verläufen, die zum Tod führen können. Am 2. April fand in Berlin am Vormittag eine nur spärlich besuchte Bundes- pressekonferenz statt, auf der die Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) sowie zwei weitere Wissenschaftler zu dem hier aufgeworfenen Themen- komplex Stellung nahmen. Anlass war unter anderem auch, sich zur Verschie- bung der Weltdiversitätskonferenz seitens der Regierungsvertreterin zu äußern und mehr Licht ins Dunkel des Sars-CoV-2-Kontextes zu bringen. Schulze betonte, eine Biodiversitätskonferenz mit 200 Teilnehmenden wäre nicht im Modus Videoschaltung zu bewältigen. Zusammen mit der sehr informativen TV-Dokumentation aus der Reihe planet.e, „Die Welt der Viren — Seuchen auf der Spur“ von Andreas Ewels und Manfred Kessler — in diesen Tagen mehrfach gesendet in Phoenix-TV —, bildet dies den Faktenhintergrund für diesen Beitrag. Bei so einem einschneidenden Phänomen wie der gegenwärtigen Corona- Epidemie, die fast die ganze Welt lahmzulegen und in Ausnahmezustand zu versetzen vermag und dabei Schäden größten Ausmaßes für Gesundheit und Gesundheitssystem sowie Folgen für Politik und Wirtschaft bedingt, sucht man nach Anhaltspunkten und Gründen für die Ursachen. Das Virus fiel ja nicht von gestern auf heute vom Himmel, man ist dem Sachverhalt, wie bereits angedeu- tet, schon seit geraumer Zeit forschend und wissenschaftliche Daten ermittelnd auf der Spur. Das Stadium, indem man sich dabei befindet, ist noch früh, doch lassen sich auf den bisherigen Erkenntnissen basierend durchaus bestimmte Thesen formu- lieren und Schlussfolgerungen anstellen, die jetzt schon weitreichend in ihren Konsequenzen sein könnten. Von daher auch der Zusammenhang mit der Biodiversitätsthematik. Biodiversität bedeutet schlicht Artenvielfalt und Arten- verteilung. Zu dieser wiederum gehört der Aspekt des Lebensraumes — Biotop — von Mensch und Tier in Natur und Umwelt. Eine interdependente Beziehung. Man könnte salopp auch sagen, alles hängt mit allem zusammen. Doch interessiert hier natürlich die genauere Frage „wie“ und „was womit“? Seit Jahrzehnten ist ein immenser Rückgang an zur Verfügung stehender Landfläche für wilde Tiere zu verzeichnen, man spricht von etwa drei Vierteln weltweit. Gleichzeitig dringt der Mensch in die verbliebenen Räume immer weiter vor und verengt damit noch zusätzlich den Platz für Tiere. Damit einher geht eine grundsätzlich veränderte Land- und Meeresnutzung, oder sagen wir es präziser, der Ausbeutung von Boden und Ozeanen. Ende der 1950er Jahre machten ein Buch und ein Film des Frankfurter Zoodirektors und Tierarztes Professor Grzimek (1909-1987) mit dem Titel „Kein Platz für wilde Tiere“ Furore. Gemeint war damit sein Eindruck des Rückgangs von Tierpopu- lationen und Wildgebieten in Ostafrika, speziell in Tanganjika/Tansania — und Kenia, die er über mehrere Jahre bereist und erforscht hatte. Zugleich stellte er den Zusammenhang her mit der explosiven Zunahme der Welt- und speziell der afrikanischen Bevölkerung. Seine jahrzehntelang im Fernsehen laufenden Tierdokumentationen nannte er darum auch „Ein Platz für wilde Tiere“. Seit Grzimeks Engagement wurde man zunehmend auf diese Problematik aufmerksam. Kenias Hauptstadt Nairobi wandelte sich seit 1920 von einer Buschansiedlung aus Hütten und Kolonialgebäuden mit etwa 20.000 Einwoh- nern zur heutigen Weltstadt mit über 3 Millionen Bewohnern, also dem mehr als Hundertfachen. Afrika weist heute eine Gesamtbevölkerung von ungefähr 1,3 Milliarden Menschen auf, die bis 2050 geschätzt auf über 4 Milliarden anwachsen wird. Das wirft brennende Fragen auf nach Raum, Wirtschaft, Verkehr, Tierschutz, Ernährung, Wasserversorgung und so weiter — nicht zuletzt aber auch nach der Gesundheit. Denn hier liegt ein zentrales Problem: im Wechselverhältnis zwischen tierischem und menschlichem Lebensraum. Pro Tag geht im brasilianischen Amazonas- urwald, der „grünen Lunge“ unserer Erde, ein Gebiet ungefähr von der Fläche einer Großstadt wie Köln verloren durch Rodung und Bepflanzung mit Mono- kulturen für den Weltmarkt — Soja, Mais und anderes —, verfüttert wiederum in der Tierzucht zur Fleischproduktion in den Industrieländern. Dass darunter vor allem die Artenvielfalt zu leiden hat, muss nicht noch extra hervorgehoben werden. Arten werden ausgedünnt, zurückgedrängt, sterben aus. Bis heute etwa zu 80 Prozent! Was aber hat die Abnahme der Artenvielfalt mit der vermehrten Entstehung von Viren und Zoonosen zu tun? Es ist festzu- stellen, dass die „Spezialisten“ immer mehr zurückgedrängt werden, während die anpassungsfähigen „Generalisten“ sich ausbreiten, ihre Dichte pro Quadrat- kilometer und der Kontakt zu Menschen zunimmt, wodurch sich auch die Übertragungsrate für Viren erhöht. Wenn immer weniger Tiere einen bestimmten Lebensraum besetzen, der zudem noch gestört und durch andere Faktoren bedroht ist, steigt bei den verbliebenen Arten die Anzahl der Erreger pro Population und nimmt die Gefahr von Infektionen für den vordringenden Menschen zu. Die Gefahr, dass sich aus Erregeranhäufungen bei der Replikation eines Virus in Zellen Mutationen, also Fehler bilden, die den Schlüssel zu menschlichen Zellen finden, verstärkt sich. Dies ist ein mögliches Modell, sich die Entstehung von Sars-CoV-2 plausibel zu erklären. Dazu muss man auch noch wissen, dass 70 Prozent aller Erreger von Infektionserkrankungen unter Tieren zu finden sind und von diesen verbreitet werden. Zum Beispiel übertragen bestimmte blut- saugende Mücken die Erreger für Ebola und Denguefieber. Der Enzephalitis- Erreger stammt nachweislich aus dem tropischen Regenwald. Im Umkehrschluss garantiert ein intaktes Ökosystem eine weite Verteilung von Tieren in vielen Arten. Die Gefahr einer Erregeranhäufung in wenigen Tierarten ist weit geringer, auch die Kontaktgelegenheit zwischen Mensch und Tier ist deutlich reduziert, da dieser im Bewusstsein der Gefahr die tierischen Lebens- räume gebührend respektiert und dazu Abstand hält. Umweltkatastrophen und Virusepidemien könnten also in einem direkten Kausal- und Wirkungszusam- menhang stehen, wenn wir von fortschreitender Naturzerstörung, Artenreduktion und Lebensraum- verknappung ausgehen. Falsches menschliches Verhalten wäre letztlich die hausgemachte Ursache. Dazu tragen auch die Wildtiermärkte in Afrika oder Asien bei. Hier kommt es zur gefährlichen Nähe von infizierten Tieren — Affen, Fledermäuse und so weiter —, wenn Tiere, wie in Afrika, in Marktnähe in Bäumen hausen, ihr Kot zur Erde fällt und vom Wind verteilt wird. Oder wenn die Hygienebedingungen im Umgang mit der Fleischbearbeitung und -aufbereitung von sogenanntem Buschfleisch ungenügend sind, wenn zum Beispiel über offenem Feuer gebratenes Affenfleisch innen noch rohe Partien aufweist. Für diesen „Leckerbissen“ reisen Menschen mitunter von weit her und zahlen bis zu 30 Euro für das Kilogramm Affenfleisch! Nichts für arme Leute. Weide- tiere können Kot von Tieren mit Viren beim Fressen aufnehmen und so zu Zwischenwirten werden. Es sind also auch Ernährungsaspekte und Ernährungs- gewohnheiten, die hier mit zur Disposition stehen. In Afrika hat die Virenerforschung — wie zum Beispiel im Zentrum für Tropen- medizin in Kumasi, Ghana — einen schweren Stand. Es ist für die wissenschaft- liche Arbeit nicht genug Geld vorhanden, Schutzkleidung ist zudem teuer und wird oft unsachgemäß mehrfach verwendet. Hier wären langfristig finanziell gesicherte Forschungsprogramme nötig. Die deutsche Umweltministerin nannte auf der Bundespressekonferenz drei aus ihrer Sicht vordringliche Ansatzpunkte, jetzt zu handeln: 1. die verstärkte Zusammenarbeit der Wissenschaft und Förderung der Forschung; 2. die Reduktion des Handels mit Wildtieren, vor allem in seiner illegalen Ausbreitung; 3. einen neuen tragfähigen Rahmen für Naturschutz auch im Hinblick auf die Agrarproduktion. Das können natürlich nur allererste Überlegungen und Zielformulierungen sein. Der humane Beitrag aller an einer grundsätzlich veränderten Sicht und an einem anderen Verständnis des Verhältnisses zwischen Mensch, Tier und Umwelt ist gefragt und gefordert. Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt Futureway diesen Text in der Zweitverwertung und weist freundlich darauf hin, dass freie Medien wie Rubikon auf Spenden angewiesen sind.
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Bisher kursiert die Annahme, dass das Virus erst- mals auf einem Wildtiermarkt in der 11-Millionen- Metropole Wuhan, Zentralchina, vom Tier auf den Menschen übergesprungen sein könnte. Wuhan gilt als das Zentrum, von dem aus die jetzt zur Pande- mie gewordene Infektion vermutlich im Dezember 2019 ihren Ausgang genommen und sich weltweit rasant ausgebreitet hat. Über die genaue Herkunft und ob es dabei Zwischenwirte gab, existieren bisher noch keine verlässlichen Daten. Im Verdacht steht allerdings eine bestimmte Fledermausart, mit der in Wuhan gehandelt und die dort auch bevorzugt von Menschen verspeist wird. Normalerweise ist der Mensch in der Lage, mit Mikroben, Bakterien und Viren zu leben, er bildet durch infektiöse Erkrankung Resistenzen und Immunitäten dagegen aus. Fledermäuse gelten als Träger ersten Ranges von Coronaviren, die kein Novum sind. 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Zusammen mit der sehr informativen TV-Dokumentation aus der Reihe planet.e, „Die Welt der Viren — Seuchen auf der Spur“ von Andreas Ewels und Manfred Kessler — in diesen Tagen mehrfach gesendet in Phoenix-TV —, bildet dies den Faktenhintergrund für diesen Beitrag. Bei so einem einschneidenden Phänomen wie der gegenwärtigen Corona-Epidemie, die fast die ganze Welt lahmzulegen und in Ausnahmezustand zu versetzen vermag und dabei Schäden größten Ausmaßes für Gesundheit und Gesundheitssystem sowie Folgen für Politik und Wirtschaft bedingt, sucht man nach Anhaltspunkten und Gründen für die Ursachen. Das Virus fiel ja nicht von gestern auf heute vom Himmel, man ist dem Sachverhalt, wie bereits angedeutet, schon seit geraumer Zeit forschend und wissenschaftliche Daten ermittelnd auf der Spur. Das Stadium, indem man sich dabei befindet, ist noch früh, doch lassen sich auf den bisherigen Erkenntnissen basierend durchaus bestimmte Thesen formulieren und Schlussfolgerungen anstellen, die jetzt schon weitreichend in ihren Konsequenzen sein könnten. Von daher auch der Zusammenhang mit der Biodiversitätsthematik. Biodiversität bedeutet schlicht Artenvielfalt und Artenverteilung. Zu dieser wiederum gehört der Aspekt des Lebensraumes — Biotop — von Mensch und Tier in Natur und Umwelt. Eine interdependente Beziehung. Man könnte salopp auch sagen, alles hängt mit allem zusammen. Doch interessiert hier natürlich die genauere Frage „wie“ und „was womit“? Seit Jahrzehnten ist ein immenser Rückgang an zur Verfügung stehender Landfläche für wilde Tiere zu verzeichnen, man spricht von etwa drei Vierteln weltweit. Gleichzeitig dringt der Mensch in die verbliebenen Räume immer weiter vor und verengt damit noch zusätzlich den Platz für Tiere. Damit einher geht eine grundsätzlich veränderte Land- und Meeresnutzung, oder sagen wir es präziser, der Ausbeutung von Boden und Ozeanen. Ende der 1950er Jahre machten ein Buch und ein Film des Frankfurter Zoodirektors und Tierarztes Professor Grzimek (1909-1987) mit dem Titel „Kein Platz für wilde Tiere“ Furore. Gemeint war damit sein Eindruck des Rückgangs von Tierpopulationen und Wildgebieten in Ostafrika, speziell in Tanga- njika/Tansania — und Kenia, die er über mehrere Jahre bereist und erforscht hatte. Zugleich stellte er den Zusammenhang her mit der explosiven Zunahme der Welt- und speziell der afrikanischen Bevölkerung. Seine jahrzehntelang im Fernsehen laufenden Tierdokumentationen nannte er darum auch „Ein Platz für wilde Tiere“. Seit Grzimeks Engagement wurde man zunehmend auf diese Problematik aufmerksam. 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Die Gefahr, dass sich aus Erregeranhäufungen bei der Replikation eines Virus in Zellen Mutationen, also Fehler bilden, die den Schlüssel zu menschlichen Zellen finden, verstärkt sich. Dies ist ein mögliches Modell, sich die Entstehung von Sars-CoV-2 plausibel zu erklären. Dazu muss man auch noch wissen, dass 70 Prozent aller Erreger von Infektionserkrankungen unter Tieren zu finden sind und von diesen verbrei- tet werden. Zum Beispiel übertragen bestimmte blutsaugende Mücken die Erreger für Ebola und Denguefieber. Der Enzephalitis-Erreger stammt nachweislich aus dem tropischen Regenwald. Im Umkehrschluss garantiert ein intaktes Ökosys- tem eine weite Verteilung von Tieren in vielen Arten. Die Gefahr einer Erregeranhäufung in wenigen Tierarten ist weit geringer, auch die Kontaktgele- genheit zwischen Mensch und Tier ist deutlich reduziert, da dieser im Bewusstsein der Gefahr die tierischen Lebensräume gebührend respektiert und dazu Abstand hält. Umweltkatastrophen und Virus- epidemien könnten also in einem direkten Kausal- und Wirkungs- zusammenhang stehen, wenn wir von fortschreitender Naturzerstörung, Artenreduktion und Lebensraum- verknappung ausgehen. Falsches menschliches Verhalten wäre letztlich die hausgemachte Ursache. Dazu tragen auch die Wildtiermärkte in Afrika oder Asien bei. Hier kommt es zur gefährlichen Nähe von infizierten Tieren — Affen, Fledermäuse und so weiter —, wenn Tiere, wie in Afrika, in Marktnähe in Bäumen hausen, ihr Kot zur Erde fällt und vom Wind verteilt wird. Oder wenn die Hygienebedingungen im Umgang mit der Fleischbearbeitung und -aufbe- reitung von sogenanntem Buschfleisch ungenügend sind, wenn zum Beispiel über offenem Feuer gebra- tenes Affenfleisch innen noch rohe Partien aufweist. Für diesen „Leckerbissen“ reisen Menschen mitunter von weit her und zahlen bis zu 30 Euro für das Kilogramm Affenfleisch! Nichts für arme Leute. 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Das können natürlich nur allererste Überlegungen und Zielformulierungen sein. Der humane Beitrag aller an einer grundsätzlich veränderten Sicht und an einem anderen Verständnis des Verhältnisses zwischen Mensch, Tier und Umwelt ist gefragt und gefordert. Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“. Da die Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt Futureway diesen Text in der Zweitverwertung und weist freundlich darauf hin, dass freie Medien wie Rubikon auf Spenden angewiesen sind.
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