Die Bio-Revolution
Um mehrere Milliarden Menschen zu ernähren, müssen wir auf nachhaltige
Landwirtschaft umsatteln. Ein Interview mit dem Landwirt Felix zu Löwenstein.
Die moderne Art der Landwirtschaft richtet langfristig mehr Schäden an, als
dass sie uns nutzt. Trotzdem breiten sich überholte Bewirtschaftungsmodelle
weiterhin in alle Welt aus. Nur unzureichend durchdachte, profitorientierte
Entwicklungshilfemaßnahmen sind daran nicht schuldlos. Dabei mangelt es
wahrlich nicht an Alternativen. Im Interview mit Rubikon zeigt der Landwirt
Felix zu Löwenstein auf, dass ein Wandel hin zu einer nachhaltigen Form öko-
logischen Landbaus längst nur noch eine Frage des Willens ist.
Die Landwirtschaft ist die Lebensader unserer modernen Gesellschaften. Ohne
sie wären Arbeitsteilung und Spezialisierung nur beschränkt möglich gewesen,
und der Mensch würde noch immer den Großteil seines Tages damit zubringen,
durch die Wälder zu streifen auf der Suche nach ausreichend Nahrung für sich
und seine Familie. Auch unsere pulsierenden Metropolen würden schnell zum
Erliegen kommen, wenn sie nicht von außerhalb durch einen steten Strom an
essbaren Naturalien versorgt würden. Insofern markiert die Neolithische Revo-
lution – als vor etwa 13.000 Jahren der jagende und sammelnde Homo sapiens
langsam sesshaft wurde und Ackerbau zu betreiben begann – einen einschnei-
denden Zeitraum in der Menschheitsgeschichte. Um es überspitzt zu sagen:
Ohne Neolithische Revolution kein iPhone.
Seit dem ersten Getreideanbau im fruchtbaren Halbmond – der sich von den
irakisch-iranischen Grenzgebieten am Persischen Golf weiter nach Norden über
die Staatsgebiete des heutigen Iraks und Syriens zurück nach Süden über den
Libanon, Jordanien, Israel und Palästina bis ins nördliche Ägypten erstreckte –
hat sich einiges geändert. Über die Jahre hat sich die Landwirtschaft aus den
unterschiedlichsten Anbaumethoden und einer Reihe bedeutsamer, wissen-
schaftlicher Entdeckungen letztlich zu dem entwickelt, was wir heute „indus-
trielle Landwirtschaft“ nennen.
Dabei hat sie nicht nur die außergewöhnliche Leistung vollbracht, mit einer
explodierenden Weltbevölkerung Schritt zu halten, sondern hat uns bis an
einen Punkt geführt, an dem Hunger nicht mehr Folge unzureichender Ernte-
erträge, sondern deren ungleichmäßiger Verteilung ist. Eine Tatsache, die
angesichts prall gefüllter Supermarktregale – selbst in Zeiten von Covid19 –
schnell in Vergessenheit gerät und gleichzeitig das Hungerleiden von etwa
842 Millionen Menschen (jeder neunte Mensch, Stand: 2012) in ein von
Menschenhand verursachtes Verbrechen transformiert.
Doch nicht allein die Distributionsproblematik stellt die Weltgemeinschaft vor
große Herausforderungen. Das Wissen um die Folgeerscheinungen des kon-
ventionellen Landbaus wächst täglich an und hat einen Umfang angenommen,
bei dem Kritik nicht länger als ökologische Spinnerei abgetan werden kann.
Sehr deutlich zeigt sich dies im Kontext des Klimawandels: Hier, wo Land- und
Ernährungswirtschaft für etwa ein Drittel des Ausstoßes klimaschädlicher
Treibhausgase verantwortlich sind, ist industrieller Landbau so etwas wie das
Gaspedal in Richtung Erderwärmung. Dies spiegelt sich unter anderem im
Verhältnis zwischen aufgewendeter Energie und erzeugter Nahrungsenergie
wider, bei dem die traditionelle, nicht-mechanisierte Landwirtschaft im
Vergleich zu ihrem hochgerüsteten, industriellen Gegenspieler ganz klar die
Nase vorne hat.
Weiterhin sind die Schäden, die durch diese Bewirtschaftungsform hervor-
gerufen werden, zusehends mit bloßem Auge erkennbar. Neben Bodendegra-
dation durch Versalzung und abnehmendem Artenreichtum im Boden steht
auch zunehmende Grundwasserbelastung durch Überdüngung längst auf der
Tagesordnung. Von den gesundheitlichen Auswirkungen des Verzehrs belas-
teter Lebensmittel für den Menschen ganz zu schweigen.
Da erscheint es doch erschreckend, dass einige
Entwicklungshilfemaßnahmen darauf abzielen,
genau dieses Bewirtschaftungsmodell in kleinbäuerlich
geprägte Nationen zu exportieren.
Die Landwirtschaft befindet sich heute abermals an einem wichtigen Wende-
punkt in ihrer Geschichte. Wir leben in Zeiten, in denen sich langsamen Schrittes
ein neues Bewusstsein über die Begrenztheit natürlicher Ressourcen und damit
ein neues Verhältnis zu ihnen herausbildet. Damit einher geht nicht, all die
bemerkenswerten Leistungen der Grünen Revolution zu leugnen, sondern sich
anhand der Erfahrungen aus der Vergangenheit einen erfolgreichen Weg in die
Zukunft zu bahnen. Die alleinige Fixierung auf immer höhere Ertragsraten bei
nahezu vollständiger Ausklammerung ökologischer und sozialer Folgen ist
somit ein Irrweg, den wir schnellstmöglich wieder verlassen sollten.
Dieser Meinung ist auch Felix zu Löwenstein. Er ist Landwirt mit langjähriger
Erfahrung und hat den elterlichen Betrieb auf biologischen Anbau umgestellt.
Mit seinem breiten Wissen um natürliche Prozesse hat er zudem an verschie-
denen Entwicklungshilfeprojekten mitgearbeitet und kann aus den gewon-
nenen Erfahrungen abschätzen, welche Maßnahmen erfolgversprechend sind.
Löwenstein ist sich sicher: „Wenn wir künftig neun Milliarden Menschen
ernähren wollen, ist die Umstellung auf biologischen Anbau unabdingbar“.
RUBIKON: Herr Löwenstein, laut einer Statistik der FAO gibt es aktuell 842 Millio-
nen Menschen, die an Hunger leiden. Brauchen wir eine neue „Grüne Revolution“?
Felix zu Löwenstein: Das ist vorrangig eine Definitionsfrage. Dieser Begriff ist in
den 1960er-Jahren durch Norman Borlaug und seine Leute geprägt worden,
deren Lösungsansatz es war, durch technische Innovationen die Intensität der
landwirtschaftlichen Produktion zu erhöhen, um so das Hungerproblem in den
Griff zu bekommen. Dabei bedienten sie sich viererlei Instrumente, namentlich
mineralischem Dünger, Pestiziden, Bewässerung und Hochertragssorten. Wenn
heute Leute davon sprechen, wir bräuchten die nächste Stufe der Grünen
Revolution, dann meinen sie damit wieder eine technikzentrierte Lösung und
haben ihren Instrumentenkasten noch um die Gentechnik erweitert.
Obwohl man nicht bezweifeln kann, dass die Grüne Revolution zu enormen
Ertragszuwächsen geführt hat, hat sie aber leider auch an anderen Stellen
massive Schäden angerichtet. Ich spreche zum Beispiel von Wasserverschmut-
zung, Biodiversitätsverlusten und einem nicht unerheblichen Beitrag zum
Klimawandel. Außerdem ist es seit Beginn der Grünen Revolution zu enormen
Effizienzverminderungen gekommen, was die eingesetzten Ressourcen
angeht. Wenn wir also über eine solche „synthetische“ Grüne Revolution
sprechen, dann ist das sicherlich der falsche Weg.
Sie selbst sind Biolandwirt. Warum haben Sie sich gegen den konventionellen und
für den ökologischen Landbau entschieden?
Dafür gibt es einen sehr konkreten Grund: der Umgang mit Pestiziden. Ich habe
sechs Jahre lang konventionell gewirtschaftet, und es geht schon damit los,
dass auf einer Packung Fungizid oder Insektizid eigentlich schon draufsteht,
dass das Mittel Stoffe enthält, die in der Natur nichts verloren haben. Alleine
deswegen habe ich mich sehr unwohl gefühlt beim Umgang mit diesen Stoffen.
Was dann letzten Endes den Ausschlag gegeben hat, waren die ständigen
Kompromisse, die man gegen die gute fachliche Praxis eingehen muss.
Ein konkretes Beispiel: Ich fahre auf den Acker raus und spritze ein Mittel. Das
Zeitfenster ist knapp, denn es droht ein Unwetter. Von den 10.000 Litern in
meinem Tank habe ich schon 5.000 verspritzt. Jetzt kommt auf einmal Wind
auf. Eigentlich müsste ich heimfahren, weil man bei Wind nicht spritzen darf.
Das macht aber kein Mensch, weil niemand ein halbvolles Fass für mehrere
Tage am Hof abstellt. Das bringt nur Korrosionsprobleme bei den Metallteilen.
Also wird das Fass leergemacht. Außerdem tragen nur die wenigsten meiner
Kollegen die nötige Schutzkleidung, wenn sie mit diesen Stoffen umgehen.
Als mir klar geworden ist, dass es auch ohne geht, habe ich umgestellt.
Bauernhände mit frisch geernteten Kartoffeln.
Datum 19.04.2020
von Laurent Stein
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In ihrem Buch „Es ist genug da. Für alle.“ sprechen Sie von ökologischer
Intensivierung. Was genau meinen Sie damit?
Vorneweg: Bei solchen Begriffen ist immer Vorsicht geboten. Begriffe wie
„ökologische Intensivierung“, „Agrarökologie“ oder „nachhaltige Intensivie-
rung“ lassen viel Interpretationsspielraum zu und sind deswegen nicht ganz
ungefährlich. Diejenigen, die etwas ganz anderes meinen, setzen sich auf diese
Begriffe, um sie für sich zu beanspruchen. Trotzdem habe ich den Begriff
„ökologische Intensivierung“ gewählt, weil ich nicht will, dass jemand denkt,
ich rede über den zertifizierten Ökolandbau als einzige zukunftsfähige Form
der Landwirtschaft. Mir geht es nämlich in erster Linie nicht um zertifizierte
Wertschöpfungsketten, sondern darum, die biologischen Prozesse – und wir
reden hier insbesondere über die Photosynthese und die Bodenfruchtbarkeit
– so zu intensivieren, dass sie landwirtschaftlich dauerhaft und produktiv
genutzt werden können, ohne die Produktionsvoraussetzungen der Land-
wirtschaft kaputt zu machen.
Kann es auf diese Weise gelingen, eine wachsende Weltbevölkerung vollständig
von ökologischen Produkten zu ernähren?
Es kann nicht nur gelingen, es muss gelingen. Denn was sicherlich nicht gelin-
gen wird, ist, mit der aktuellen Form der konventionellen Landwirtschaft auf
Dauer einfach weiter zu machen.
Wir fahren da gegen eine Wand, weil wir schlicht
und ergreifend die Ressourcen, die uns die Natur
zur Verfügung stellt, überstrapazieren.
Bei dieser Frage geht es aber nicht nur um Landwirtschaft, sondern auch um
Ernährung. Man kann die Fragen „Wie ernähren wir uns?“ und „Wie produ-
zieren wir?“ nicht voneinander abkoppeln. Das wird aber immer wieder gemacht.
Leute, die einem vorrechnen, dass eine Umstellung nicht gelingen kann, machen
immer denselben Rechenfehler: Sie gehen von gleichbleibenden Essgewohn-
heiten aus. Dass das nicht geht, ist aber überhaupt gar keine Frage. Unser
Fleischkonsum – hochgerechnet auf die gesamte Weltbevölkerung – würde viel
mehr Getreide verbrauchen, als uns überhaupt zur Verfügung steht. Wenden
wir aber die Grundrechenarten der Marktlehre an, zeigt sich, dass das auch gar
nicht nötig ist. Wenn Sie ein Huhn dreimal so teuer am Markt anbieten – was
Sie müssen, wenn Sie es artgerecht aufziehen und füttern – dann wird sich der
Fleischkonsum von ganz alleine anpassen.
Welcher Grundvoraussetzungen bedarf es denn, damit ein flächendeckender
Wandel hin zu ökologischer Landwirtschaft tatsächlich auch gelingen kann?
Es gibt dazu ein interessantes Beispiel aus Indien. Andhra Pradesh ist jetzt
bereits der dritte indische Bundesstaat, der eine komplette Umgestaltung auf
die sogenannte Zero Budget Agriculture vollzogen hat. Die haben etwas sehr
Einfaches gemacht. Der Staat hat die Subventionen auf Spritz- und Düngemittel
runtergefahren und stattdessen die Beratung intensiviert. Da ist den Kleinbauern
schnell klar geworden, dass es ökonomisch viel sinnvoller ist, ökologisch zu
wirtschaften. Die Beratung ist dabei aber eine unabdingbare Voraussetzung,
weil es für die Bauern auch keine Lösung sein kann, nur den mineralischen
Dünger wegzulassen. Dann würden sie ökonomisch schnell mit dem Rücken
zur Wand stehen. Dieses Beispiel zeigt uns, dass selbst unter den Bedingungen
extremer Witterungsverhältnisse und einer kleinbäuerlichen Landwirtschaft
die ökologische Wirtschaftsweise ökonomisch am sinnvollsten ist.
Bei uns gestaltet sich die Lage etwas anders. Wir haben ja keine Düngemittel-
subventionierung. Was wir aber haben, sind Schäden an Umweltgütern und
daraus resultierende Kosten. Wenn wir also etwas ändern wollen, dann führt
kein Weg daran vorbei, diese Kosten den Verursachern in Rechnung zu stellen.
Im Moment ist unsere Herangehensweise eine andere: Wir versuchen, die
Verbraucher davon zu überzeugen, dass die Verantwortung bei ihnen liege
und dass sie deswegen mehr Geld ausgeben müssen, wenn ihnen gesunde
Lebensmittel etwas bedeuten. Klar, das funktioniert auch zu einem gewissen
Maße, kann aber nur eine Wegetappe sein. Wir können doch nicht auf Dauer
eine Ökonomie betreiben, wo derjenige, der den größten Schaden an Gemein-
gütern wie Wasser oder Boden anrichtet, auf dem Markt die billigsten Produkte
anbieten kann, während derjenige, der solche Schäden nicht verursacht, die
teuersten Produkte herstellt und das auch nur deswegen tun kann, weil die
Verbraucher freiwillig bereit sind, mehr Geld dafür zu bezahlen. Wir müssen
an einen Punkt kommen, an dem die Leute, die Schäden am Gemeineigentum
anrichten, dafür zur Kasse gebeten werden. Dann würden konventionelle Pro-
dukte schnell so teuer, dass sie sich nur noch sehr reiche Leute leisten könnten.
In Ihrem Buch wird auch das Thema Flucht behandelt, bei dem Hunger eine nicht
unwesentliche Rolle spielt. Sie waren selbst an verschiedenen Entwicklungshilfe-
projekten beteiligt, unter anderem drei Jahre auf Haiti. Im Zuge dessen haben Sie
auch die Erfahrung machen müssen, dass es viele verschiedene Gründe gibt, warum
Entwicklungshilfe oftmals zum Scheitern verurteilt ist. Können Sie hierzu ein
konkretes Beispiel nennen?
Oft erzielt Entwicklungshilfe nicht die gewünschten Effekte, weil sie die Eigen-
verantwortung derer, denen geholfen werden soll, untergräbt. Lassen Sie mich
Ihnen ein Beispiel geben: In Haiti hatte ich die Aufgabe, mit Bauern in einer
Ebene im Süden der Insel ein Bewässerungssystem mit zugehöriger Organisa-
tionsstruktur aufzubauen. Eines Tages sind die Bauern einer nahegelegenen
Siedlung auf mich zugekommen und haben gefragt, ob ich ihnen bei einem
Problem mit einem alten Kanal helfen könne. Aus diesem würde bei Regen
immer sehr viel Wasser in einen Weg laufen, der sich daraufhin in Schlamm
verwandelt und so die Leute am Vorankommen hindert. Also habe ich vermes-
sen, wie sie den Kanal führen müssten, damit das Wasser nicht in den Weg
läuft. Ich habe Ihnen angeboten, das nötige Baumaterial und die Gerätschaften
zur Verfügung zu stellen. Alle waren begeistert und am nächsten Samstag
begann die gemeinsame Arbeit der Dorfbewohner.
In der darauffolgenden Woche kamen dann aber ein paar Leute zu mir und
drucksten etwas verlegen rum, dass sie das Projekt ja schon gerne weiter
machen würden, aber ob es denn nicht möglich wäre, ihnen ein paar „Sinistré“
(Lebensmittel) dafür zu geben. „Food for Work“ nennt man das. Ich entgeg-
nete ihnen, dass das Wasser nicht bei mir vor die Haustüre laufen würde. Wieso
sollte ich ihnen etwas dafür geben, dass sie ihr eigenes Problem lösen?
Mit hängenden Schultern sind sie dann abgezogen und es passierte lange Zeit
nichts mehr. Der Hintergrund des Ganzen ist, dass in Haiti so viele „Food for
Work“-Projekte laufen, dass andere Dorfbewohner ihnen gesagt haben: „Ja,
seid ihr denn verrückt? Da kommt der „Blanc“ (Weiße) schon einmal hierher
und macht Arbeit mit euch, und ihr fragt ihn nicht einmal nach ein paar Lebens-
mitteln. Wir haben doch alle Hunger!“ Das Schöne an dieser Geschichte war,
dass sie es sich nach ein paar Wochen doch noch einmal überlegt und das
Projekt zu Ende geführt haben. Das ist aber nicht der Normalfall!
Dieses Beispiel hat mir gezeigt, dass das Überschütten
mit Entwicklungshilfeleistungen die Eigeninitiative
der Menschen zunichtemachen kann.
Wie kann Entwicklungshilfe verbessert werden?
Das große Problem der staatlichen Entwicklungshilfe ist, dass sie immer über
staatliche Kanäle laufen muss und sich dort oft innerhalb korrupter Strukturen
bewegt. Es ist schon sehr, sehr schwer, da herauszukommen. Wenn man
außerdem Entwicklungshilfe macht mit dem Anspruch, so die Welt zu retten,
dann sollte man es lieber gleich sein lassen.
Ich glaube, dass die Vermittlung von Fähigkeiten im intelligenten Umgang mit
natürlichen Systemen im Vordergrund stehen muss. Wir sind sehr glücklich,
dass die bundesdeutsche Entwicklungshilfe (BMZ) nun drei Wissenszentren für
ökologischen Landbau in Afrika einrichten wird. Das ist sicher ein sinnvoller
Ansatz. Am Ende bleibt jedoch ein großes Stück Eigenverantwortung bei den
Ländern und ihrer Bevölkerung. Gerade deswegen finde ich es sehr spannend,
was aktuell in Indien passiert. Es scheint, als habe man sich ein Stück weit von
dem alten Modell losgesagt und das Heft in die eigene Hand genommen.
Dass Entwicklungshilfe auch ganz anders gehen kann, haben Sie unter anderem in
Äthiopien bei einer britisch-kenianischen Kooperation erlebt.
Das war hochinteressant. Das dort angewandte „Push & Pull“-Konzept
beschreibe ich ausführlich in meinem Buch Food Crash. Grundsätzlich zeigt die
Kooperation eindeutig, dass man viel mehr erreichen kann, wenn man Techno-
logie und Informationstransfer in die Hände der Bauern legt, anstatt ein Top-
Down-System mit Experten aus Übersee aufzuziehen. Was ich besonders
faszinierend fand, war, dass ich dort Flächen gesehen habe, wo dank des neuen
Ansatzes die Probleme in den Griff bekommen wurden und wo just daneben
Flächen waren, die total von Unkraut überwuchert waren. Mit anderen Worten:
Da haben Bauern die Erfahrung gemacht, dass gewisse Dinge funktionieren,
und der Nachbarbauer hat sich nicht etwa gedacht: „Oh, wenn das so ist, dann
mache ich das halt auch“, sondern es wurden weiter dieselben Fehler begangen.
Dieses Phänomen kann man eins zu eins nach Europa übertragen. Für mich ist
es völlig unverständlich, warum die Leute um mich herum noch nicht auf
Ökolandbau umgestellt haben. Es funktioniert nicht nur, sondern es rechnet
sich auch. Ich verdiene mehr Geld als sie! Ich erkläre mir das zum einen mit
der Angst vor Veränderungen und zum anderen mit ideologischen Vorurteilen.
Ideologie hängt oft damit zusammen, was man in seiner Ausbildung gelernt
hat. Ich persönlich habe zum Beispiel in Weihenstephan studiert. Aus Erfahrung
kann ich Ihnen sagen, dass Sie, wenn Sie eine solche Uni verlassen, davon über-
zeugt sind, ohne Chemie nicht überleben zu können. Sie wähnen sich in einer
feindlichen Natur, in der sie nur überleben können, wenn sie von BASF oder
Bayer-Monsanto an den Händen geführt werden. Wir stecken da in einem
Teufelskreis, in dem sich sowohl die Ausbildenden als auch die Auszubildenden
eine Landwirtschaft ohne Chemie nicht mehr vorstellen können.
Also ist eine Grundvoraussetzung für einen Wandel hin zu mehr Öko auch ein
Wandel in der Ausbildung?
Ja klar! Schauen wir uns zunächst einmal die Unis an, wo über die Hälfte der
Betriebsleiter ausgebildet werden. An praktisch allen Unis ist die Person, die
sich um Ökolandbau kümmert, ein Einzelkämpfer. Das ist so einer, den „man
halt auch haben muss“. Es gibt nur eine einzige Uni, die nur aus Ökos besteht,
nämlich die in Kassel. Die wird deshalb aber auch von allen anderen Unis stark
von oben herab betrachtet.
Und wie steht es um die Forschung im Allgemeinen? Nun, Drittmittel aus der
Industrie gibt es nur von Firmen, die mit der Landwirtschaft ihr Geld verdienen,
also überwiegend Chemiekonzerne. Neun Prozent Ökolandbau in Deutschland
bedeutet für die neun Prozent Umsatzeinbruch. Das finden die alles andere als
komisch. Dazu kommt, dass für eine wissenschaftliche Karriere die Frage „Was
bewirke ich mit meiner Landwirtschaft?“ von sehr viel geringerer Bedeutung
ist als die Frage „Welche Peer-reviewed-Journals kann ich mit meinen Artikeln
bestücken?“. Dieses Problem beschränkt sich allerdings nicht nur auf unser
Fachgebiet. Auch an den Fachschulen, wo die andere Hälfte der Landwirte
ausgebildet wird, versuchen wir bis heute vergeblich durchzusetzen, dass
Ökolandbau zum Prüfungsfach wird.
Ich meine, jeder, der einmal in der Schule war, weiß,
wie relevant ein Fach ist, welches gar nicht geprüft wird.
Was macht Ihnen eigentlich Hoffnung?
Am faszinierendsten finde ich, dass man immer wieder auf einzelne Typen
trifft, die einfach unendlich mehr können als andere. Daraus ergibt sich die
Aufgabe, die Innovationskraft dieser Pioniere für die gesamte landwirtschaft-
liche Entwicklung fruchtbar zu machen. Dazu benötigen wir Forschungssys-
teme, die den einzelnen Landwirten als Mitforschenden ernst nimmt. Das ist
leider nur selten der Fall. Heutzutage läuft Forschung meist so ab, dass der
Forschende auf den Landwirten zukommt und fragt, ob er dessen Flächen gegen
eine Entschädigungsgebühr nutzen darf. Der macht dann da seine Versuche
und wenn es gut läuft, erklärt er dem Landwirt noch, was er eigentlich unter-
sucht.
Besser wäre: Auf Augenhöhe miteinander die Probleme analysieren und lösen.
Das gilt für uns in Deutschland ebenso wie für die Entwicklungshilfe. Ein Kolle-
ge von mir, der in Äthiopien arbeitet, hat das vorgemacht. Er hat dort die soge-
nannte Best Practice Association (BPA) ins Leben gerufen. Die machen nichts
anderes, als zu schauen, wo Bauern sind, die irgendwelche tollen Sachen
können, das zu dokumentieren und die Bauern dazu zu animieren, ihr Wissen
zu teilen. Das funktioniert!
Kurz und knapp zusammengefasst: Wenn ich das nächste Mal durch den Super-
markt laufe und überlege, für welche Lebensmittel ich mich entscheide. Warum
sollte ich zu Bioprodukten greifen?
Weil Bio die einzig gesetzlich definierte und mit einem eigenen Kontrollsystem
versehene Form von Landwirtschaft ist, die an vielen Stellen die Probleme, die
wir mit der heutigen Landwirtschaft haben, schon gelöst hat.
Vielen Dank für Ihre Zeit!
Hinweis zum Beitrag: Der vorliegende Text erschien zuerst im „Rubikon – Magazin für die kritische Masse“. Da die
Veröffentlichung unter freier Lizenz (Creative Commons) erfolgte, übernimmt Futureway diesen Text in der
Zweitverwertung und weist freundlich darauf hin, dass freie Medien wie Rubikon auf Spenden angewiesen sind.
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