Grundlagen zur
Digitalisierung
Sozialisation
Neben der systemischen Gefahr der Demokratie hat
Big Data Einfluss auf unsere soziale Interaktion - sei
es im Freundeskreis oder bei der Partnersuche.
Empfehlen:
Social Media kann süchtig und krank machen
Das Wichtigste in Kürze
Digitalisierung bedeutet für die Sozialisation:
•
Gefährdung der entwicklungspsychologisch
wichtigsten Instanzen Freundeskreis und Familie
•
Mediensozialisation führt zu Orientierungs-
losigkeit und Informationsüberflutung
•
Neuartige Gefahren durch Cybergewalt, Cyber-
mobbing, Cybergrooming, Cyberstalking und
Cybersexismus
•
Smartphones und Internet als Freiheitsfalle
•
Big Data als systematische Gefahr für die selbst-
bestimmte, freiheitliche Demokratie
Sozialisation ist die Anpassung an gesellschaftliche
Denk- und Gefühlsmuster durch Verinnerlichung von
sozialen Normen. Sozialisationsprozesse bewirken,
dass im sozialen Zusammenleben Handlungsbezüge
und eine soziale Identität entsteht, auf die sich
Menschen in ihrem sozialen Handeln beziehen.
Sozialisation ist die lebenslange Aneignung von und
Auseinandersetzung mit natürlichen Anlagen.
1. Sozialisation mit
Familie und Freunden
Wesentliche Aspekte zur Identitätsbildung für den
Menschen als soziales Wesen sind Familie, Freunde,
geistige Freiheit, Kreativität, Gemeinschaft, Privat-
heit, Individualität, Vertrauen und Naturerfahrung,
natürliches Erleben seiner Triebe, Identitätsstiften-
de Kultur, Regeln die man beachtet oder boykot-
tiert, soziale Milieus, genetische Anlagen, Krisen
(diese können das Gehirn umstrukturieren und sind
ein Reifungsprozess), Erinnerungen (der Geist sucht
nach Gleichgesinntem, das Gehirn schafft sich seine
eigene Realität. Wir nehmen nur 40 von 11 Millionen
Sinneseindrucken pro Sekunde wahr). Denken,
Wahrnehmung und Handeln ist in erster Linie
Interpretation, Erinnerungen, Hoffnungen und
Absichten steuern diesen „Filter“.
2. Mediensozialisation
Sozialisation durch Medien bei Kindern und
Jugendlichen umfasst alle Aspekte, bei denen die
Medien für die psychosoziale Entwicklung der
Heranwachsenden eine Rolle spielen. Doch die
Mediensozialisation ist keineswegs auf die Kindheit
und Jugend begrenzt, sondern findet auch im
Erwachsenenalter statt, z.B. im Kontext der beruf-
lichen Sozialisation und der Alltagsgestaltung von
Erwachsenen.
Mediensozialisation wird stark getrieben von
Ansprüchen an die Verfügbarkeit, an den sozialen
Status, von Selbstinszenierung und Selbstschutz,
Intimität und Öffentlichkeit, Mobilität und Vernet-
zung, Abhängigkeit und Kontrolle, Anteilnahme
und Impulsgebung. So ersetzen Medien letztlich
eine natürliche Umwelt.
Diese Entwicklung hat insbesondere die Sozialisa-
tion von Kindern und Jugendlichen stark verändert.
Kinder und Jugendliche werden von Informationen
überflutetet und wachsen in einer digitalen Umwelt
auf, die den natürlichen Bedürfnissen in keiner Weise
entspricht. Familie und Freunde werden digital er-
fasst und über digital erworbenes Wissen beurteilt,
wobei Emotionen oder Erlebnisse aus dem Alltag
eine immer geringere Rolle spielen.
3. Informations-
überflutung
In Gesprächen finden sich daher oftmals typische
Einleitungssätze wie „Ich habe auf Wikipedia gele-
sen, dass…“ oder „bei Facebook oder Instagram
hat jemand einen interessanten Artikel gepostet, in
dem…“. Der permanente Austausch über Gelese-
nes, Gehörtes und Gesehenes wird durch die
Umwelt unterstützt. Überall wo wir hinschauen,
sehen wir Medien, die uns mit Informationen
zuschütten.
Ob in der U-Bahn oder im Wartezimmer beim Arzt,
der Blick ist immer auf dem Smartphone. Informa-
tionen, ob wahr oder unwahr, vervielfältigen sich
immer schneller. Damit wandelt sich auch der
Anspruch an die Teilnehmer, zu erkennen, welches
Wissen und welche Kompetenzen einen Wert
haben. Aus gesellschaftskritischer Perspektive muss
man erwarten, dass nur ein kleiner Teil der Gesell-
schaft über angemessene Filterkompetenzen ver-
fügt. Der andere Teil der Gesellschaft wird durch
den Unterhaltungsmarathon der kommerzialisier-
ten Medien im Dämmerzustand gehalten.
4. Handys und Social
Media
Wie aus der SINUS-Jugendstudie 2020
ersichtlich
ist, ist die Erlebniswelt der Jugendlichen inzwi-
schen
digital. Schon die Kleinsten versuchen wischend
das Handy der Eltern zu bedienen. Mit 12 Jahren
sind fast alle Kinder online, haben ihr Smartphone
immer dabei und schenken WhatsApp, YouTube,
TikTok und Google ihre Aufmerksamkeit.
Studien zeigen, dass viele der sogenannten „Digital
Natives“ mehrere Stunden täglich online sind. Sie
schicken sich Textnachrichten oder Fotos, schauen
Videos an, spielen mit anderen Online-Spiele oder
recherchieren für die Schule. Auch für die im Rahmen
der SINUS-Studie befragten Jugendlichen bedeuten
Smartphones, das Internet und die Digitalisierung
in erster Linie einen Zugang zu Sozialen Medien und
damit zu ihren Freunden. Das Handy ist der tägliche
Begleiter und auch ein Statussymbol.
Die Nutzung der sozialen Netzwerke führen, häufig
gerade bei jüngeren Nutzern, dazu, dass diese die
Preisgabe von Daten in Kauf genommen wird. Auch
eine exzessive Nutzung bis hin zu onlinebasiertem
Suchtverhalten werden durch die Allgegenwart und
Gestaltung der Angebote begünstigt. Cybergewalt,
Cybermobbing, Cybergrooming, Cyberstalking und
Cybersexismus sind oft die Fortsetzung der
Nutzung sozialer Medien.
5. Digitalisierte
Körperlichkeit
Durch den Einfluss von sozialen Netzen haben
Jugendliche oft kein realistisches Körperbild und
orientieren sich stark an medial vermittelten
Körperidealen. Als schön gilt, was Influencer auf
Instagram, TikTok und YouTube vorleben. Beson-
ders Instagram prägt das Körperbild mit, zeigt wie
dieser zu optimieren und disziplinieren ist. Das hat
vor Jahren zu einer Pro-Magersucht-Bewegung in
geschlossenen Internet-Foren geführt und findet
nun in abgeschwächter Form öffentlich statt. Die
sogenannten Challenges richten sich vorwiegend an
Nutzerinnen. Die vermittelte Botschaft lautet: Der
Körper ist ein Rohstoff, der sich durch Leistung for-
men lässt. Das ist für viele eine „Herausforderung“:
einem Körperbild zu entsprechen, das häufig exzes-
siven Sport und Diäten voraussetzt.
6. Big Data
Der Whistleblower Edward Snowden hat bewusst
gemacht, welche tiefgreifenden Veränderungen
mit der Nutzung des Internets vor sich gehen, bei
denen wir freiwillig mitwirken. Statt digitaler Frei-
heit und Demokratie sind wir mit Big Data konfron-
tiert, der systematischen Verletzung von Grund-
rechten. Eine kollektive Selbsttäuschung findet
ständig statt. Die digitale Freiheit, der Hype des
Internets führt zu einer massenhaften Sammlung,
Speicherung und Übertragung digitaler Daten die
jede Möglichkeiten der Überwachung eröffnet und
sich oft rechtsstaatlicher Kontrolle entziehen.
Smartphones, Tablets und PCs erweisen sich als
eine große Freiheitsfalle, weil durch die Verletzung
der Persönlichkeitsrechte und Privatsphäre die
Freiheit zu einer manipulierten Freiheit wird. Der
reale Freiheitsverlust wird von den meisten kaum
wahrgenommen und von vielen sogar um andere
Vorteile willen bewusst in Kauf genommen wird.
So wird der Internetnutzer zum gläsernen Bürger.
Wir überlassen heute viele Entscheidungen Algo-
rithmen, indem wir bei Google den richtigen Arzt
oder Informationen suchen oder über Google Maps
den Weg suchen oder über eine Dating App den
richtigen Partner suchen. Wir alle wissen, dass
Google und andere Digitalanbieter mit den Suchan-
fragen und sonstigen kostenlosen Angeboten viel
Geld verdienen. Plattformbetreiber wie die von
Google und Facebook verwenden zur Erhebung von
Personen- und Nutzungsdaten Techniken wie
Nudging und der verdeckten Erhebung von Bewe-
gungsdaten. Die personalisierte Suche und deren
Ergebnisse basiert also letztlich auf den persönli-
chen Daten (u.a. Standort, IP Adresse, Browser und
Betriebssystem, Desktop oder Mobil, frühere Such-
anfragen und besuchter Webseiten) die Google und
andere abgreifen und auswerten. Die Algorithmen,
mit denen Informationen selektiert und nutzerspe-
zifisch angeboten werden, sind jedoch für Nutzer
nicht mehr durchschaubar.
Wenige Menschen berücksichtigen, dass die Such-
ergebnisse neben den persönlichen Daten auch
durch gekaufte Keywords beeinflusst werden. Das
ist letztlich das Geschäftsmodel von Google, dass
man die Sichtbarkeit über die Buchung von Key-
words erhöht.
So hat der BP-Konzern nach der Erdölexploration im
Golf von Mexiko auf der Bohrplattform Deepwater
Horizon mit gekauften Suchergebnissen seine Sicht
der Ölkatastrophe im Netz populär machen
. Um
bei der Suche nach dem Begriff „Oil spill“, also
Ölkatastrophe, in den Suchergebnissen ganz oben
zu erscheinen und die Wahrscheinlichkeit zu erhö-
hen, dass sich der Suchende auf der firmeneigenen
Homepage über die aktuelle Lage informiert und
nicht auf anderen Internetseiten.
Eine aktuelle Studie kommt zu dem Ergebnis, dass
das Vertrauen der Nutzer gegenüber Google sehr
hoch ist
. Das liegt aber unter anderem an der
Unkenntnis über das Geschäftsmodel und die damit
verbundenen Aktivitäten von Google. Vor allem der
Unterschied zwischen bezahlten Anzeigen und or-
ganischen Suchergebnissen als auch die Nutzung
persönlicher Daten wie der Such-Historie sind hier-
bei zu nennen. Vermutlich würde das Vertrauen ge-
genüber Google sinken, wenn die Datensammlung
und Nutzung durch Google mehr ins Bewusstsein
der Nutzer gelangten.
7. Dataismus:
die neue Religion
Yuval Noah Harari hält den Siegeszug einer
„Religion des Dataismus
“ für möglich. Deren
Anhänger glaubten, dass die Intelligenz, die durch
Vernetzung von Computern und die Entwicklung
eines „Internets der Dinge“ entstehe, zu einem
„posthumanistischen Zeitalter“ führen werde, in
dem Datenschutz und Demokratie sinnlose Begriffe
seien. So seien soziale Netzwerke wie Facebook
bereits heute in der Lage ist, durch die Analyse von
„like“-Klicks, einen Menschen besser als dessen
Lebenspartner zu kennen und welche Vorlieben
und Abneigungen der betreffende Mensch habe.
Bald schon werden entsprechend „gefütterte“
Netzwerke genauer als ein bestimmter Wähler wis-
sen, welches Wahlverhalten für ihn am nützlichsten
sei aber ihn auch hocheffektiv manipulieren können.
Im August 2017 hatten Forscher der Stanford
University eine künstliche Intelligenz (KI) vorge-
stellt, die anhand von mehr als 35.000 Fotos einer
Datingplattform die Gesichts-form, den Gesichts-
ausdruck und die Art, wie die Person sich gestylt
hat, auslas und daraus die sexuellen Präferenzen
der Personen zuordnete
. Anschließend ließen sie
ihr Programm zufällige Fotos von hetero- und ho-
mosexuellen Personen untersuchen und sie einer
sexuellen Orien-tierung zuordnen. Bei Männern lag
die KI in 81% der Fälle richtig, bei Frauen waren es 71%.
Unternehmen wie Google sind für Yuval Noah
Harari eine moderne Form der Religion, die die
Bürger diszipliniert. "Im mittelalterlichen Europa",
schreibt Harari in einem Beitrag für die Financial
Times, "hatten Priester und Eltern die Macht, den
Ehepartner auszuwählen. In einer dataistischen
Gesellschaft frage ich Google, den Ehepartner aus-
zuwählen."
Um mehr Gewissheit zu erlangen und Risiken zu mi-
nimieren, ließen wir uns von einer Maschine die
Partnerwahl diktieren. Der Dataismus entmündige
die Bürger und katapultiert die Menschen zurück in
einen geistigen Feudalismus, in der man sich statt
von Priestern von Maschinen bevormunden lässt.
Zwar glaube, schreibt Harari, der Nutzer im Moment
einer Suchanfrage, Herr über die Suchmaschine zu
sein und einen Befehl zu erteilen
. Doch vollstrecke
er dabei nur die Sachlogik des PageRank-Algorith-
mus, den die Entwickler im Silicon Valley program-
miert haben – und werde dabei zu einem Informa-
tionsmündel, weil er nur noch eine Art Second-Hand-
Wissen erwirbt.
Viele Länder preschen in der Einrichtung digitaler
Identitätssysteme vor, die sowohl online als auch
offline zum Einsatz kommen können. Wie diese
Systeme gestaltet und welche Maßnahmen zum
Schutz der Bürger ergriffen werden, haben nicht
nur die Regierungen selbst in der Hand, sondern
auch die größten Digital-Unternehmen und globale
Regierungseinrichtungen wie die Weltbank. Machen
wir damit die Digitalunternehmen zum Hüter unse-
rer Identitätssysteme?
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33%
75%
95%
95%
94%
6-7
Jahre
8-9
Jahre
10-11
Jahre
12-13
Jahre
14-15
Jahre
16-18
Jahre
8%
25%
52%
70%
6%
Abbildung: Smartphone- und Handynutzung durch Kinder und
Jugendliche nach Altersgruppen 2018 und 2019.
Die intelligenten Mobiltelefone sind für viele ein wichtiger Teil des
alltäglichen Lebens geworden und der Umgang mit Smartphones
beginnt bereits im Kindesalter.
2018: Befragt wurden 1.231 Kinder/ Haupterzieher.
2019: Befragt wurden 915 Kinder und Jugendliche.
Quelle: Statista. 2018: Veröffentlicht von F. Tenzer, 21.04.2020; 2019:
07.04.2020.
40%
48%
55%
17%
18%
17%
10%
9%
7%
6%
13%
5%
Abbildung: Kommunikations-Apps.
Basis: 5,85 Mio. Gesamt 6-13 Jahre. Antworten der Kinder
Quelle: Kinder-Medien-Studie 2019, Breinig, K.
100
%
6%
YouTube
67%
37%
Instagram
46%
30%
Snapchat
32%
17%
TikTok
31%
7%
Woanders
Abbildung: Tätigkeiten der Befragten auf videofähigen Social-Media-
Plattformen in Prozent (N = 97). Insgesamt nahmen an der Erhebung
97 Heranwachsende in 17 Kleingruppen teil. Davon waren
89 im relevanten Alter von 12 bis 14 Jahren.
Quelle: ACT ON! Short Report Nr. 7. „Du bist voll unbekannt!“,
Selbstdarstellung, Erfolgsdruck und Interaktionsrisiken auf TikTok aus
Sicht von 12- bis 14-Jährigen. JFF - Institut für Medienpädagogik,
München 08.2020
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Datenanalyse für digitale Marketingkampagnen mit Kennzahlen
und Schlüsselindikatoren (KPI) über das Dashboard von
Informationen für die Werbestrategie im Internet.
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NEIN
63,7%
JA
36,3%
JA
72,3%
NEIN
27,7%
JA
56,5%
NEIN
43,5%
JA
34,7%
NEIN
65,3%
21,6%
Regionale Unternehmen
(zB Pizza in meiner Nähe)
28,1%
Wie man etwas macht
(zB wie man eine
Krawatte bindet)
10,3%
Das Beste aus einem
Produkt finden
(zB beste Ski)
40%
spezifische Fragen
(zB wer ist Snoke?)
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