Gesundheit der Erwachsenen
Auch erwachsene Gehirne reagieren auf die zunehmende Digitalisierung mit
körperlichen und psychischen Auswirkungen.
Empfehlen:
Social Media kann süchtig und krank machen
Das Wichtigste in Kürze
Digitalisierung bedeutet für die Gesundheit der Erwachsenen:
•
Massive Zunahme psychischer Störungen (z.B. Suchtverhalten, Schlafstörungen,
Burnout, Konzentrationsschwäche und Depressionen)
•
Zunahme körperlicher Symptome (z.B. Kopf-, Magen- oder Rückenschmerzen)
•
Anstieg digital verursachter Krankheiten ist signifikant und nachweisbar
•
Ursachen: Überwachung, fehlende Privatsphäre, Ohnmachtsgefühle, Stress
durch neue Technologien, zu viele verschiedene Geräte, „Always on“,
„Mythos Multitasking“ und „Informations-Overload“
Viele Menschen sind von der Digitalisierung überrollt worden, ohne darauf aus-
reichend vorbereitet worden zu sein. Es gab niemals Warnungen und Spiel-
regeln, wie, wann und wo Smartphone und Computer eingesetzt werden sollen.
Es gibt Studien, wonach 70 Prozent aller unter 30-Jährigen mit dem Smartphone
am Bett schlafen. Im Schnitt sind Menschen unter 30 Jahren pro Tag vier Stunden
am Handy. Viele können sich ein Leben ohne Smartphone und Computer nicht
mehr vorstellen und zeigen Entzugserscheinungen, wenn sie es verlieren.
1. Biologische Auswirkungen
Ein Team von der Korea University in Seoul hat untersucht, ob sich Effekte exzes-
siver Smartphone- oder Internetnutzung auch in der Gehirnchemie der Betroffe-
nen abzeichnen. Mit dem Ergebnis, dass, wer das Smartphone und das Internet
zum Zentrum seiner Welt macht, damit sein geistiges Wohlbefinden gefährdet.
Die Abhängigkeit von diesen Medien geht demnach mit einem problematischen
Ungleichgewicht bestimmter Nerven-Botenstoffe im Gehirn einher.
Weil viele Menschen die digitalen Geräte nicht mehr abschalten können und
„Always On“ sind, entstehen bei ihnen Schlafstörungen, Burnout oder Depres-
sionen. Die Auswirkungen der Digitalisierung im Arbeitsleben sind dabei signifi-
kant, die erhöhte Arbeitsverdichtung und eine immer schnellere Taktung und
Verteilung komplexer Arbeiten auf immer weniger Mitarbeiter. Die ständige
Erreichbarkeit und das Verlangen, über alles und jeden informiert zu sein und
zu informieren schränkt die Privatsphäre ein und führt zu weiterem Stress.
Überall und immer einsatzfähig zu sein, der Drang nach Informationen, eine
ständige Flut von Nachrichten und der Wandel in der Arbeitswelt führen bei vie-
len Menschen auch zu körperlichen Problemen wie Kopfschmerzen, Herzrasen,
Rückenschmerzen, Depressionen oder innere Unruhe. Körperliche Schmerzen
wie Rücken- oder Magenschmerzen können ein Indiz für psychische Überlastung
sein. Eine Folge ist die Unfähigkeit, sich auf eine Sache zu konzentrieren.
2. Krankschreibung und
Berufsaufgabe
Eine Langzeituntersuchung der DAK-Gesundheit zeigt, dass sich die Zahl der
Krankschreibungen wegen psychischer Probleme in den vergangenen 20 Jahren
mehr als verdreifacht hat. In ihrem "Psychoreport 2019" hat die Krankenkasse
die Fehltage ihrer Versicherten seit 1997 ausgewertet. Die Fehlzeiten wegen
anderer Angststörungen wuchsen um 205 Prozent, Ausfälle wegen Reaktionen
auf schwere Belastungen und Anpassungsstörungen sogar um 332 Prozent.
Die Zunahme der Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Erkrankungen sei „seit
Jahren die bei Weitem auffälligste Entwicklung“, heißt es in dem DAK-Bericht.
Von 1997 bis 2019 nahm die Zahl der Fehltage aufgrund psychischer Erkrankun-
gen um 239 Prozent zu. Im gleichen Zeitraum lasse sich beim Krankenstand ins-
gesamt kein vergleichbarer Aufwärtstrend beobachten, so die Kassenexperten.
Mehr als ein Drittel aller Arbeitnehmer (37 Prozent), die vorzeitig aus dem Beruf
ausscheiden, tun dies, weil eine psychische Krankheit wie Burn-out, Depression
oder Angststörungen diagnostiziert worden ist. Im Jahr 2009 waren es noch 26,6
Prozent - das ist ein Anstieg von knapp 40 Prozent. Das geht aus einer Studie des
Versicherers Swiss Life hervor. Die Ursache liegt in der digitalen Transformation
der Arbeitswelt.
Bestätigt wird dies durch eine Studie des DGB, bei welcher nur 9% der Befragten
aussagten, dass die Digitalisierung zu einer Erleichterung der Arbeitslast führe,
hingegen 46% der Befragten zum Gegenteil neigten, einer Erhöhung der
Arbeitslast.
3. Belastungsfaktoren
Auch die nachfolgenden Auszüge einer Studie des Fraunhofer-Instituts zu digita-
lem Stress führt zu demselben Ergebnis: „dass digitaler Stress oft krank macht“.
„Bei der Arbeit mit digitalen Medien und Technologien können mindestens 12
verschiedene Belastungsfaktoren identifiziert werden. Hier die 5 wichtigsten
Gründe, warum Digitalisierung oft krank macht:
•
Das Erfassen von Leistungsdaten und damit einhergehende Vergleich-
barkeit führt zu einem Gefühl der permanenten Überwachung und
Bewertung, das lähmt und stresst.
•
Die Privatsphäre leidet - und macht Arbeitende zur Gläsernen Personen,
wenn sie mit Arbeitskollegen oder sogar Vorgesetzte in sozialen Netzen
vernetzt sind. Verstärkt wird dies durch den eigenen Drang zu ständiger
Kommunikation und Erreichbarkeit.
•
Stress entsteht weiterhin bei technischer Ohnmacht, bei Fehlfunktionen,
Ausfall, falsches Kabel. Wenn die Technik versagt, ist der digitale Stress
hoch. Technikprobleme, spontane Nachrichten oder Anrufe stören den
Arbeitsfluss. Es entsteht das Gefühl, schneller arbeiten zu müssen. Nach
der Unterbrechung fängt man wieder von vorne an.
•
Häufiger Wechsel von Technologien stresst. Die Nutzung neuer Apps und
Geräte muss gelernt werden – dafür braucht es Zeit. Steht die nicht zur
Verfügung, erzeugt das Druck und die Angst, dass der Job wackelt.“
4. Erschöpfung und Overload
Martin Korte, Professor für zelluläre Neurobiologie an der TU Braunschweig,
beleuchtete in seinem Vortrag die Auswirkung des digitalen Wandels auf das
menschliche Gehirn. In unserer digitalen Welt sind wir permanent von Geräten
umgeben, die uns scheinbar helfen, den Alltag besser zu bewältigen – die Smart-
watch am Handgelenk, das Navigationssystem im Bordcomputer des Fahrzeugs
oder die Chat-App auf unserem Mobilgerät. Warum haben wir dennoch häufig
das Gefühl, überfordert, gestresst, am Limit zu sein? Kortes Erklärung: Am Ende
ist schlichtweg unsere Willenskraft aufgebraucht, weil wir im Laufe des Tages so
viele überflüssige Entscheidungen treffen müssen, beispielsweise welches Gerät
wir bedienen oder welche Eingaben wir machen. Die digitale Transformation
habe sich technisch gesehen schon viel weiterentwickelt, als unser Verstand und
vor allem unsere sozialen Konventionen, um dieser folgen zu können, so Korte.
Für den Hirnforscher liegt das Problem auch in der Geschwindigkeit begründet,
mit der sich der digitale Umbruch vollzieht: Die neuen Medien etablierten sich
rasend schnell, aber wir Menschen hätten nicht gelernt, adäquat mit ihnen um-
zugehen. Im Gegenteil, wir hätten uns Gewohnheiten und Routinen im sozialen
Miteinander, aber auch im Lernsystem angewöhnt, die weder dem Arbeiten
noch dem Lernen förderlich seien.
Auch diagnostiziert Korte einen „Informations-Overload“, der das menschliche
Denken störe. Seine Erklärung: Wenn wir ständig von „unsortierten“ Informa-
tionen umgeben sind, überfordert dies unser Arbeits- oder Kurzzeitgedächtnis,
das Informationen temporär speichern und manipulieren kann, aber nur eine
verhältnismäßig kleine Rechenkapazität hat. Die Folge: unsere Produktivität
sinkt, die Fehleranfälligkeit nimmt zu.
Wie Korte beobachtet, werden wir von digitalen Medien dauernd verführt,
virtuell an mehreren Orten gleichzeitig zu sein und Aufgaben parallel zu bear-
beiten. Dies sei nach neurowissenschaftlichen Erkenntnissen ein Trugschluss,
denn zumindest im bewussten Bereich des Erlebens und Verarbeitens könnten
wir kein Multitasking leisten, sondern nur – mehr oder weniger schnell – zwischen
den Tätigkeiten wechseln. Zudem trainieren wir uns darauf, immer auch auf das
zu achten, was gerade nicht im Fokus unserer Aufmerksamkeit steht, um keine
eingehende Nachricht zu verpassen, die etwas Wichtiges bedeuten könnte und
gleichzeitig unserem Belohnungssystem einen kurzfristigen „Kick“ verschafft.
Der Versuch, diese Prozesse zu überwachen und Aufgaben gleichzeitig zu bear-
beiten, führe zu einem ständigen Alarmzustand im Gehirn und zu einer weiteren
Überforderung des Arbeitsgedächtnisses.
5. Mythos Multitasking
Korte beobachtet weitere Kollateralschäden der Digitalisierung unseres Alltags-
und Berufslebens: Strömten ungefiltert zu viele Informationen auf uns ein,
gelinge unserem Gehirn deren Gewichtung nicht mehr und dementsprechend
schwer falle es uns, Prioritäten zu setzen und uns auf das, was wir eigentlich
tun oder lernen wollten, zu konzentrieren. Auch die Fehleranfälligkeit nehme
zu, denn durch die reduzierte Rechenkapazität des Denkorgans seien wir weni-
ger in der Lage, Fehler zu entdecken und die Folgen unseres Handelns zu reflek-
tieren oder zu kontrollieren. Die entstehende Stressbelastung schränke als
negatives Gefühl das Arbeitsgedächtnis noch weiter ein und die für die Abwehr
dieser Gefühle notwendigen Nervenzellen stünden nicht mehr zur Verfügung.
Doch wie lässt sich dieser Teufelskreis durchbrechen? Korte hat für die Zuhörer
ein scheinbar einfaches Rezept parat: Menschen seien bis zu 50 Prozent effekti-
ver, wenn sie Aufgaben seriell erledigten und nicht parallel.
Die Omnipräsenz medialer Gleichzeitigkeit bedeutet für Korte außerdem einen
enormen „Zeitfresser“. Untersuchungen hätten gezeigt, dass Handy-Nutzer
sich durchschnittlich alle 18 Minuten am Tag durch Einschalten des Bildschirms
unterbrechen ließen.
Nach jeder Unterbrechung benötige das Gehirn jedoch 10 bis 15 Minuten „Ein-
denkzeit“, um von einer komplexen kognitiven Tätigkeit zur anderen zu wech-
seln. Die Erklärung des Hirnforschers: „Wir haben keine Bibliothek im Kopf,
sondern raum-zeitliche Muster von neuronalen Netzwerken, die Informationen
abgespeichert haben, und wir brauchen bestimmte Algorithmen, um die zu
einer Tätigkeit notwendigen Informationen auffinden zu können.“
Die Annahme, das Gehirn funktioniere wie eine Computer-Festplatte, ist aus
seiner Sicht ein Irrtum, wie Korte erklärte: Beim Lernen ändern sich die neu-
ronalen Verschaltungswege, so dass wir die Welt auch anders wahrnehmen,
ebenso wie Vorwissen das zukünftige Wissen dahingehend beeinflusst, dass
es uns leichter fällt Neues zu lernen und wir die Welt auch differenzierter
wahrnehmen, wenn wir mehr über diese wissen.
6. Aktives Wissen als
Grundkompetenz
Was muss ich selbst überhaupt noch wissen, wenn ich alles im Internet suchen
und finden kann? Diese oft gestellte Frage beantwortet der Hirnforscher ganz
entschieden zugunsten des aktiven Wissens: Für ihn braucht der Mensch weiter-
hin erworbenes Wissen als Grundkompetenz. Das Gelernte gelte es zu hinterfra-
gen oder miteinander zu kombinieren, damit aus Informationen Wissen werde
und aus einem Beziehungsgefüge von Wissen Bildung. Nur dann seien wir in der
Lage, die Welt zu strukturieren und mit der Fülle an Informationen, die uns zur
Verfügung stehen, auch kritisch umzugehen.
Automatische Navigationsgeräte wie Google Maps oder TomTom beginnen
bereits den menschlichen Orientierungssinn zu trüben, weil es eine 'use-it-or-
lose-it' Fähigkeit ist.
Der einstige Präsident des Royal Institute of Navigation Roger McKinley, der
die Navigation technisch voranbringen will, warnte kürzlich in "Nature", dass
die "automatische Wegfindung unsere natürlichen Fähigkeiten untergräbt".
Grundlagen zur
Digitalisierung
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Millionen Deutsche können sich auch nachts nicht
von ihrem Smartphone trennen.
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Abbildung: Häufigkeit von Krankheitsbildern
der Befragten, die geringen bzw. starken
digitalen Stress wahrnehmen.
Quelle: Gesund digital arbeiten?! Eine Studie
zu digitalem Stress in Deutschland, Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung
Abbildung: Studie der pronova BKK: „Digital,
dynamisch, dauergestresst? Arbeiten 2020“
Jünger heißt nicht gesünder.
Quelle: Gesundheitsstudien der pronova BKK
21,2%
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14,5%
4,9%
4,6%
4,6%
4,6%
4,3%
4,1%
8,3%
11,8%
28,2%
9,7%
7,4%
10,6%
5,4%
14,5%
6,1%
7,1%
1,4%
2,4%
7,4%
Abbildung: Anteile der zehn wichtigsten
Krankheitsarten an den AU-Tagen und AU-Fällen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 2019, DAK-
Gesundheitsreport 2020
2,5
2,8
3,0
3,6
3,8
4,1
4,0
4,3
4,1
4,2
4,5
4,8
5,0
5,5
6,0
6,1
6,2
6,8
6,9
6,5
7,0
7,0
7,4
59,2
26,2
18,7
18,6
75,9 (F32)
29,5 (F33)
Abbildung: AU-Tage und AU-Fälle pro 100
Versichertenjahre aufgrund psychischer
Erkrankungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 2019,
DAK-Gesundheitsreport 2020
Abbildung: AU-Tage je 100 Versichertenjahre
für die fünf wichtigsten Einzeldiagnosen bei
psychischen Erkrankungen
Quelle: AU-Daten der DAK-Gesundheit 2019,
DAK-Gesundheitsreport 2020
Die erste Generation der Apple Watch wurde am
9. September 2014 vorgestellt.
Foto: Unsplash.com
Der Begriff Multitasking (engl.) bzw. Mehrprozess-
betrieb bezeichnet die Fähigkeit mehrere Aufga-
ben (Tasks) (quasi-)nebenläufig auszuführen.
Foto: Shutterstock.com
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